Narada Marcel Turnau ist vor allem in der Yoga Vidya Gemeinschaft eine bekannte Persönlichkeit. Er hat insgesamt 8,5 Jahre in verschiedenen Yoga Vidya Ashrams gelebt und dort in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Die letzten 2,5 Jahre war er als Leiter des Westerwald Ashrams tätig. Neben seiner Arbeit bei Yoga Vidya hat er außerdem eine umfassende Internetseite rund um Yoga, Meditation und vedische Weisheit aufgebaut, die sehr zu empfehlen ist.
Als ich vor einiger Zeit bei Facebook las, dass Narada nach dieser langen Zeit die Ashramwelt verlassen wird, um wieder in seinen Job als Koch zu arbeiten, wurde ich neugierig. Die endlosen Kommentare und Likes auf seinen Post lassen mich vermuten, dass ich mit meiner Reaktion nicht alleine bin.
Was war der Grund für seine Entscheidung? Wie ist es nach so langer Zeit wieder in einem weltlichen Umfeld zu arbeiten? Und warum sind spirituelle Leute oft so egozentrisch? Dies sind nur einige von vielen Fragen, die Narada mir freundlicherweise sehr ehrlich und aufschlussreich beantwortet hat. Aber lest selbst!
Ganzherzig: Du hast 8,5 Jahren in verschiedenen Yoga Vidya Ashrams gelebt und dich vor kurzem dazu entschieden die Ashramwelt zu verlassen. Wie kam es dazu?
Narada: Für mich waren die 8,5 Jahre in der Ashramwelt eine sehr wertvolle und ereignisreiche Zeit und sicherlich auch die lehrreichste Zeit meines Erwachsenenlebens. Man sagt ein Ashram sei wie eine Waschmaschine, in der man durchgeschleudert wird und so kann ich es auch bestätigen. Wenn eine Gruppe sich entscheidet in einem Umfeld zu leben, um sich dem spirituellen Wachstum zu widmen, dann wird vom Kosmos dafür gesorgt, dass alle ständig auf ihre Themen hingewiesen werden.
So stand ich in den vielen Jahren, die ich im Ashram verbrachte schon oft kurz davor zu gehen, um etwas anderes zu machen. Aber irgendwie hatte ich mich dann doch immer entschieden zu bleiben, nicht zuletzt, weil meine Frau sich immer sehr wohl im Ashram gefühlt hat.
Vor allem die letzten 2,5 Jahre als Leiter des Ashrams im Westerwald waren sehr anstrengend für mich. Als ich plötzlich ein nahezu perfektes Jobangebot in meinem alten Beruf als Koch bekam, spürte ich, dass es das sein sollte. Da ich in meinem neuen Job nur Werktags von 6-15 Uhr arbeite, kann ich nebenbei an meinen Projekten arbeiten und viel unterrichten. Jetzt bin ich seit 6 Wochen in meinem “neuen Leben” und es läuft alles so, wie ich mir das gewünscht habe. Der Job ist nett und nicht zu anstrengend. Ich werde in der Umgebung für Workshops eingeladen und unterrichte bereits vertretungsweise in Yogalehrer Ausbildungen. Außerdem habe ich viele Termine für Seminare und Ausbildungen an Wochenenden geplant. Trotz alledem bleibt mir noch genügend Zeit das Leben zu genießen.
Als ich bei Facebook gelesen habe, dass du wieder als Koch arbeiten wirst, musste ich an den Titel des Buches “Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffel schälen” denken. Auch wenn ich das Buch selbst nicht gelesen habe, klingt deiner neuer Lebensentwurf sehr bodenständig. Du hättest dich ja auch als Yogalehrer selbstständig machen können. Warum kam das für dich nicht in Frage?
Tatsächlich frage ich mich immer noch, wo denn der tiefere Sinn hinter meinem “Ausstieg” liegt. Ich weiß es noch nicht. Ich muss manchmal an Carlos Castaneda denken, der nach seiner langen schamanischen Ausbildung von seinem Guru zum Arbeiten in eine Großküche geschickt wurde, um sein Ego weiter zu transformieren. Allerdings war es ein wenig anders, er arbeitete als einziger Weißer in einer Küche voller Mexikaner, die ihn dort fertig gemacht haben. Bei mir in der Küche geht es eher herzlich zu. Auch muss ich manchmal an den Satz denken “Du musst aufhören jemand sein zu wollen”, also um frei zu werden jegliche Rollen und Egospiele beenden. Als Leiter eines Ashrams der hauptsächlich Vorträge und Satsangs gibt, bieten sich viele Möglichkeiten an sein Ego aufzuplustern. Zwar habe ich immer darauf geachtet bodenständig und bescheiden zu sein, aber natürlich macht es was mit einem ständig auf der Bühne und in einer Entscheidungsposition zu sein.
Im letzten Jahr habe ich mir viele Gedanken über eine künftige Selbstständigkeit als Lehrer für Meditation und Yoga gemacht und mit vielen mehr oder weniger erfolgreichen Leuten aus dem Bereich gesprochen. Es ist ja leider so, dass man als Yogalehrer nur sehr schwierig gutes Geld verdienen kann, weil es sehr viele nebenberufliche Leute gibt, die mit einem niedrigen Honorar zufrieden sind. Wenn man tatsächlich gut vom Yoga leben will, muss man wohl ein Studio haben und andere Yogalehrer anstellen usw.. Das bedeutet dann eben sehr viel Büroarbeit. Ich schätze, dass ich es zwar gut schaffen könnte, mich auf dem “Markt” zu etablieren, jedoch schreckt mich der Gedanke an die viele Büroarbeit etwas ab. Jetzt mache ich eine nebenberufliche Selbstständigkeit, eben ohne davon abhängig zu sein und so gefällt es mir.
Wie ist es für dich wieder in einem weltlichen Umfeld zu leben und zu arbeiten und wie war die Umstellung für dich?
Ich liebe es mich immer wieder neuen Lebenssituationen anzupassen und so fiel es mir auch nach 8,5 Jahren leicht in meinem neuen Umfeld anzukommen. Bevor ich Ende 2006 das Fulltime-Yogaleben begann, habe ich als Koch sehr oft den Job gewechselt, mindestens ein Mal im Jahr. Ich habe z.B. 4 Jahre Saisonarbeit gemacht in Frankreich, Italien, Österreich und in der Schweiz. Die Jobs gingen dann immer maximal 8 Monate und dementsprechend musste ich mich immer wieder umstellen. Ich empfinde mein neues Umfeld gar nicht als unspirituell, nur eben anders. Ich denke man kann von jedem Menschen dem man wirklich begegnet etwas lernen, wenn man bereit ist sich für eine Lektion zu öffnen.
Vermisst du das Ashramleben manchmal?
Was mir fehlt ist die frische Luft und das gemeinsame Praktizieren. Es ist einfacher täglich zu meditieren, wenn man immer wieder daran erinnert wird und sowieso nahezu täglich zu Gruppenmeditationen geht.
Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen im Alltagsleben einer spirituellen Gemeinschaft?
Im Ashram drehen sich die Leute viel im Kreis und beschäftigen sich nur mit sich selbst, dass kann ganz schön anstrengend werden im zwischenmenschlichen Bereich. Es ist so: Wenn man laut sagt, dass man unbedingt spirituell wachsen will, dann bekommt man sehr zeitnah Herausforderungen, die einem dieses Wachstum ermöglichen, und zwar auf allen Ebenen. Es ist also jeder im Ashram mit seinen eigenen Themen beschäftigt und diese prallen dann oft ungeschont aufeinander. Ausserdem gibt es in einem Seminarbetrieb immer viel zu tun, ständig sind Gäste mit hohen Erwartungen da und die eigene Praxis soll auch nicht zu kurz kommen. So ist also die größte Herausforderung im Ashram das ganz normale menschliche Miteinander, wobei man da als Leiter eines Ashrams nochmals besonders gefordert ist. Denn als Ashramleiter ist man natürlich immer Projektionsfläche Nr.1 und jeder hat irgendwelche Erwartungen, denen man gerecht werden sollte. Einmal hat mich sogar jemand massiv angegriffen, weil er meinte ein Ashramleiter hat sich nicht für die Fussball WM zu begeistern. Es ist wirklich interessant, wieviele Lebensbereiche eine solche Rolle durchdringt.
Du sagst, die Leute im Ashram beschäftigen sich nur mit sich selbst. Obwohl es auf dem spirituellen Weg eigentlich darum geht mitfühlender zu werden und sich selbst nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Meinst du, wir müssen erst so egozentrisch sein, um unser Ego in allen Facetten zu studieren und es letztendlich zu überwinden?
“Ja” hm, ok. Kleiner Spass…Um es (sinngemäß) mit den Worten von Andrew Cohen zu sagen: “Du musst erst ein gesundes Ego haben, um es zu transzendieren”. Also wir können unsere Persönlichkeit nicht einfach so in das kosmische Bewusstsein auflösen, sondern es ist wichtig und entscheidend, dass wir zunächst Mal im Einklang sind mit der Welt, die uns umgibt. Wir sollten sozusagen erstmal “therapeutisch” daran arbeiten, dass wir gesund und glücklich sind, sowie mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, bevor wir unser Ego überwinden. In der Yogawissenschaft sprechen wir von den inneren Werkzeugen, die wir auf gesunde Weise nutzen sollten, dazu gehört auch der “Ahamkara” wörtlich der “Ich-macher”, also der Teil des Geistes, der sich mit sich selbst identifiziert. Wir können das Ego nicht loswerden oder auflösen, sondern es geht darum das zu erkennen, was dem Ego und aller Getrenntheit zugrunde liegt, um nur noch aus diesem allumfassenden Feld zu existieren.
Andrew Cohen dachte lange Zeit, er hätte es geschafft, ist dann aber vor einiger Zeit als spiritueller Lehrer zurückgetreten, weil er realisiert hat, dass es ihm an Demut fehlt. Demut ist, wie ich meine, der Schlüssel, um über sein Ego hinauszuwachsen. Demut gegenüber Gott und der Schöpfung bzw. einfach gegenüber dem, was uns umgibt. Es gibt eine Gefahr im Yoga, dass man sich innerlich nur noch mit sich selbst beschäftigt, überspitzt formuliert: Hathayogis werden zu profilneurotischen Narzisten, Bhaktiyogis werden zu überheblichen Verdrängungskünstlern, Rajayogis zu psychologisierenden Egozentrikern und Jnanayogis zu unverbesserlichen Besserwissern. Ich denke tatsächlich, dass der wichtigste aller Yoga Wege zu wenig Beachtung findet, bzw. nicht richtig verstanden wird: das Karma Yoga. Karma Yoga hilft uns die nötige Demut zu finden, um tatsächlich das Ego zu transzendieren.
Was war das Wertvollste, dass du während dieser Zeit gelernt hast?
Tatsächlich das Yoga. Nur dadurch, dass ich Vollzeit mit der Thematik konfrontiert war, konnte ich so tief in die Materie eintauchen. Bevor ich in den Ashram kam, habe ich nie vor Leuten Vorträge gegeben. Inzwischen bin ich da so routiniert, dass ich aus dem Stegreif heraus stundenlang über Yogathemen dozieren kann, ohne dass die Zuhörer einschlafen. Ich habe viele tolle Lehrer, Swamis und Gurus getroffen und konnte so immer meine Fragen an kompetente Leute loswerden, um für mich in der Wissenschaft des Yoga zu einer Klarheit zu kommen. Es ist wirklich unfassbar, wie vielfältig und umfassend das Yoga ist und ich weiß, dass ich da noch sehr viel weiteres zu lernen habe.
Was meinst du? Wirst du nochmal in den Ashram zurückziehen?
Hmmm… das wäre durchaus vorstellbar, aber erstmal nicht!
Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
Die nächsten Jahre werde ich inshallah hier in Stuttgart bleiben und für Ballettkinder kochen. Nebenbei habe ich viel Raum, um spirituelle Inhalte zu vermitteln und meine Projekte voranzubringen. Ich möchte weiterhin dem Kosmos dienen und stehe für alle Aufgaben zur Verfügung, bei denen ich das Gefühl habe meinem Dharma zu folgen. Ich wollte eigentlich nie wieder in meinen Beruf zurück, aber als das Jobangebot kam, hatte ich die innere Gewissheit mit diesem Schritt das Richtige zu tun und tatsächlich haben sich die Dinge alle sehr harmonisch entwickelt. So habe ich ein großes Vertrauen in die Göttliche Führung oder in den Flow des Lebens und ich bin mir sicher, dass es weiterhin aufregend und wunderbar sein wird.
Lieber Narada, vielen Dank für deine Offenheit!
5 Comments
Natascha
21. Juli 2015 at 10:38Sehr schön.
Maria Ma
21. Juli 2015 at 11:06<3
udrab
21. Juli 2015 at 13:41Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in Deinem Rücken sein,
sanft falle Regen auf deine Felder und warm auf dein Gesicht der Sonnenschein.
Führe die Straße , die du gehst immer nur zu deinem ziel bergab,
hab` , wenn es kühl wird warme Gedanken und den Mond in kühler Nacht. …. -Irischer Reisesegen —
Danke für das Interview und alles Gute , lieber Narada auf deiner Lebensreise!
om tryambakam
juni
22. Juli 2015 at 22:09Schön, das zu lesen
Mein Ausstieg bei Yoga Vidya - ein Insider packt aus › Vedanta & Yoga
30. Dezember 2015 at 18:32[…] Ach… und: Bei Ganzherzig.de gab es ein Interview mit mir dazu. […]